Fürth: Die Mutantenenklave


Der Tod ist was man daraus macht. Das ganze Leben ist ein einziger Sterbevorgang. Mutation ist das Gären des menschlichen Genpools. Verwesung ist, wenn der Wein kippt. Noch mehr als bei der Evolution des Menschen, setzen sich die Starken in der Gesellschaft der Mutanten durch. Mehr noch als bei der natürlichen Auslese, verwesen in den Reihen der Mutanten die Schwachen am Straßenrand der Geschichte. Die schwarzen Schafe des biologischen Quantensprungs. Aber auch schwarze Schafe können Herden bilden. Und sich vermehren. Unkontrolliert wachsen. Wuchern.

Das ist Tumor.

 

Die kleinste deutsche Stadt mit eigener U-Bahn kam seiner kleinen Schwester schon immer entgegen. Kaum hatte Nürnberg seinerzeit ein U-Bahnnetz, fand man den Anschluss an die Nachbarstadt Fürth, die zumindest häuslich schon angegliedert war. Vom Hauptknotenpunkt Plärrer führte man eine lange und gerade Straße direkt ins Herz von Fürth. Man verzieh zähneknirschend, dass Fürth, im Gegensatz zu Nürnberg, im zweiten Weltkrieg kaum Bomben abbekommen hatte. Es brauchte schon die erste Weltwirtschaftskrise des 21.Jhd, um einen Keil zwischen die beiden Städte zu treiben.

Nürnberg deutete die Zeichen der Zeit richtig: „Was, die Wirtschaft ist am Ende? Was hat denn das letzte Mal die Weltwirtschaft gerettet … achja, richtig! Totaler Wiederaufbau einer total zerstörten Zentralmacht. Hmmm … ach du lieber Himmel!“

 

Im selben Atemzug begannen die Bauarbeiten am vernetzten Bunkersystem Nürnberg, der die 5 alten Atombunker der Stadt nun endlich mit Tunnels verbinden, die alten Dieselgeneratoren durch zeitgemäße Brennstoffzellen ersetzen und Platz für mehr als 10.000 Menschen machen sollte. Die IG Metall und zahllose Nürnberger Firmen packten ihren Teil der Subventionierungsschwemme von 2010 in den Bunkerbau. Natürlich wanderten dort schon Bunkerpässe unter der Hand an Handwerker und Unternehmer.

Und die kleine Schwester Fürth blickte argwöhnisch auf das rege Treiben hinter dem Altstadtring der Noris. Das können wir auch, sagte man im Fürther Stadtrat und suchte händeringend nach Investoren und wurde prompt in Übersee fündig: Eine dubiose Firma mit Namen „Bunker Tek“ und einem ganz hinreissenden 50er Jahre Charme nahm sich dem Flehen der Stadt an und schickte ein Team von Vorarbeitern, Technikern und Tiefbau-Architekten nach Fürth. Der Bau des „Henry Kissinger Gedenkbunkers“ sollte beginnen. Leider stießen die Vorstellungen des Teams aus Texas und die Barschaft der Fürther heftig gegeneinander.

Der Amerikaner war großzügig mit den Ausmaßen des geplanten Untergrundkomplexes und der technischen Ausstattung. Jeder der 13 Pläne, den die Techniker von Bunker Tek vorlegten, sprengte den Rahmen um ein vielfaches. So bemerkte man in Fürth viel zu spät, was für einen Dämonen man sich da ins Boot geholt hatte. Nach Wochen des Stillstandes an der Baustelle hatte der Amerikaner endlich was er wollte: eine Langzeitfinanzierung mit niedrigen Zinsen und keine Abstriche beim amerikanischen Design des Bunkers. „Ein drumm Ding!“ meinte man auf der Straße, als die Nachrichten vom „größten zivilen Bauunternehmen der Region“ sprachen. „Etz scho a Drümmer.“, meinte man in Nürnberg.

Beide Städte bauten. Beide Städte kamen gut voran. Bis eines Tages die USA einfach weg waren. Niemand wusste genau was passiert ist, aber auf dem Weg in den Bunker, weil das Ende der Welt vor der Tür steht, hat man anderes im Kopf. Hah, wenn der Bunker nur mal fertig gewesen wäre.

Während man in Nürnberg schon das tonnenschwere Stahltor hinter sich zuzog, wurde in Villa Bacho … ähm … in Fürth noch geschweisst und geschraubt.

Der viel zu groß angelegte Bunker war vorne und hinten nicht fertig, die Technik fehlte zu großen Teilen, die Tür war noch nicht geliefert worden, der Techniker für die Anschlüsse hatte überraschend das Land verlassen, um als einsamer Revolverheld seine Familie vor der Apokalypse zu retten, die Geldmittel blieben aus, die Stadt war völlig verschuldet und so weiter und so weiter. Aus dem „Henry Kissinger Gedenkbunker“ wurde schnell der „Playmobil Bunker“ gemacht, aber selbst als wieder ein wenig Geld floss und die Bürger freiwillig anrückten, um zu arbeiten, standen sie vor minderwertigen Materialien, ausländischer Technik, die sie nicht verstanden oder sie verfielen dem Wahnsinn, weil so viel von der Technik, die hier verwendet werden sollte, dem europäischen Standard um Jahre hinterher hinkte.

 

Als der große Countdown zum Ende aller Enden an einer Hand abzuzählen war, quetschten sich 100.000 Menschen mehr als geplant in die unfertige Baustelle des Bunkers von Fürth. Man brachte Folien, Planen, Autotüren, Glasscheiben, Wellblech und Holzplanken mit, um sich nach hinten und oben so gut es ging abzuschirmen. Vergeblich.

 

Die Menschen von Fürth fanden sich letztendlich in einem großen Schnellkochtopf wieder. Einmal rein gespuckt und kräftig umgerührt. Die Stadt an der Oberfläche brannte und tut das heute noch. In völliger Agonie, Verzweiflung, Gier und Wut kroch, was kriechen konnte, aus den Trümmern des Bunkers und bevölkert seither das Trümmerfeld Fürth. Oder eben Tumor, wie die Noris seinen gruseligen neuen Nachbarn nennt. Mit der Städtefreundschaft ist es auf jeden Fall für immer vorbei.

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Rudelbildung, Patrouillen und Hinterhalte. Das gab es so früher nicht, aber jetzt gibt es das und nicht nur der alte Diehl und die VAG stellen sich die Frage: Was ist da los? Die Gerüchte sprechen von Partisanen der FreMuAr, die kontrolliere Angriffe befehlen und hirnlose, ausgebrannte Ghule mit Sprengstoffgürteln in die richtige Richtung schicken. Hartnäckig hält sich aber auch der angebliche Augenzeugenbericht eines Reliktjägers, der von einem besonderen Mutanten mit gewaltigem Schädel erzählt, der die wilden Ghule mit seinem Blick zähmen und befehlen kann, an dessen zahlreichen Zitzen die Viecher aus dem Tumor saugen und sich danach gar nicht mehr so wild und animalisch verhalten. Genauere Nachfragen waren nicht möglich, denn besagter Reliktjäger steckt schon seit Wochen in Schutzhaft der VAG, zur genaueren Befragung von Themen, die laut offizieller Stellen rein gar nichts mit diesem Mutantenmessias zu tun haben.